MEIN BILD DER WOCHE
Eine stilistische Verortung ist in der Bildwelt Mirella Pietrzyks nicht auszumachen. Die grotesken und zugleich wunderschönen Wesen der Malerin scheinen aus einer fremden Galaxie oder aber auch aus uralten Geschichten zu kommen.
Die Welt im toten Winkel
Dieses seltsame Näherinnen-Quintett scheint nicht von dieser Welt zu sein. Irgendwie sind es irdische Evas, aber zugleich auch Aliens. Die kleinste der fünf sitzt der linken homunkulusartigen Figur förmlich auf dem Schoß. Nicht Kind einer Madonna, sondern Näherinnen- Lehrling. Die unheimliche Szene spielt sich ab vorm schwarzen Firmament und auf einem wie planetaren Plateau. Die halbnackten oder nackten weiblichen Wesen sitzen vieläugig an ihren Nähmaschinen, emsig, im Akkord, mit Hauben, Ohrhörern, in Bienenkorbgewänder gehüllt, mit Sternenstaub-Aureole über der artigen Bürgerinnen- Haube. Mit Perlen-Scheuklappen vor Augen sitzt die rechte Gestalt. Auch sie trägt eine Haube, die eher einer Badekappe ähnelt. Wie komisch die Nähmaschinen! Sie haben die Form von Rüsseltieren aus einem Zoo der Groteske.
Vergangenheit und Zukunft
Eine stilistische Verortung gibt es bei der aus Polen stammenden, in Berlin lebenden Malerin Mirella Pietrzyk nicht. So sehr man das hier abgebildete unbetitelte Motiv, auch all die anderen Bilder an der Wand der unlängst von Mitte nach Friedrichshain umgezogenen Inselgalerie auch befragen würde. Diese wie außerirdischen Eva-Gestalten mit manieristisch überlängten, verdrehten, alabasterweißen Körpern, mit Facettenaugen, Perlen- und Blasen-Frisuren und mit einschnürenden Roben wie Kettenhemden scheinen aus ferner Zeit wie aus der Die Welt im toten Winkel Zukunft zu kommen, aus der Historie wie aus dem Sciene-Fiction. Und wollte man es kunstgeschichtlich sagen, wären das Inspirationen von Hieronymus Bosch über Manieristen wie Pontormo zu den Surrealisten der Klassischen Moderne. Etwa zu Max Ernst und Meret Oppenheim – und von da zu den unglaublichen Geschichten Stanislaw Lems, Pietrzyks polnischem Landsmann, Dichter außerirdischer Intelligenzen, etwa in „Solaris“.
Die Malerin macht keinen Hehl daraus, dass es ihr bei ihren rätselhaften Figurationen insbesondere auch um Emanzipation geht, um einen charmanten Widerstand gegen Frauen-Rollenklischees, die sie aus ihrem Leben im erzkatholischen Polen, auch jetzt unter der Regierung der national-konservativen PiS kennt, die drei großen „K’s“: Kinder, Küche, Kirche. Aber bei dieser Malerin ist Gesellschaftskritik, wenn man es überhaupt so nennen will, keine direkte Sache. Eher passiert bei ihr der Zeitverweis kühn, exzentrisch, mythisch-rebellisch, fantastisch schräg, irritierend. Auch märchenhaft. Sie malt etwas, das sich nicht zensieren lässt. Aber das passiert auch nicht, schließlich lebt Pietrzyk seit Jahren in Deutschland. Und nein, es sind keine Überschüsse oder gar Ausgeburten einer überdrehten Fantasie, was da vor unseren Augen passiert. Diese orgiastischen verdrehten, quellenden visionären Formen, sanft bis farbstark, ja, theatralisch in Szene gesetzt, strahlen Magie aus, wollen den Blick eiliger Betrachter magnetisieren. Für Momente sollen wir die Welt im toten Winkel sehen. Das nicht Sichtbare. Das heißt: nicht mit dem gewohnten Blick, nicht aus klassischer Perspektive. Pietrzyk rebelliert gegen alles Brave, Ausgewogene, Gewohnte, indem sie das Abbildhafte verzerrt, das Geschehen, das Figurative übersteigert und ins Reich der Phantasmen zieht, wo vieläugige Frauen obsessiv agieren.
Beunruhigend bizarr
Im gegenwärtigen coolen Kunstbetrieb ist diese körperbetonte, manieristische Malerei freilich eine Ausnahmeerscheinung. Verschlüsselt, geheimnisvoll-ungreifbar sind diese papiernen Bildflächen, bemalt mit Acrylfarben und Tusche, altmeisterlich und zugleich visionär. Nichts lässt sich einordnen in kunsttheoretische Schubladen. Diese bizarr schönen, beunruhigenden, Dekoratives nicht scheuenden Traumszenen und Mythen, Metamorphosen und Fabelwesensperren sich. Die Malerin ist ein freier Geist. „Die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie nehmen“, sagte einst Meret Oppenheim, feministische Malerin eines magischen Surrealismus. Mirella Pietrzyk ist denn auch so frei.
Ingeborg Ruthe
Auszug aus: Berliner Zeitung vom 14.07.2017
NEUES DEUTSCHLAND 2017
SURREALISMUS UND ENGAGIERTE KUNST
Die in Polen gebürtige Malerin und Modedesignerin Mirella Pietrzyk hat sich mit ihren grotesk-phantastischen Frauengestalten, teils Mensch, teils Tier, auf bewusste Provokation und ausgeklügelte Verblüffungseffekte verlegt. Ihre Figurationen haben Facettenaugen, mehrere Brüste, sie tragen gewaltige Haartrachten, sind von Meeresbewohnern umgeben oder mit ihnen verwachsen. Hat die Malerin hier Verzerrungen, Missbildungen, Entartungen als Symbole der allgemeinen kulturellen Situation empfunden und eingesetzt? Es ergibt sich hier eine enge Beziehung zwischen Surrealismus und engagierter Kunst. Sie hat so ihre eigene »Mythologie« geschaffen. Die Wirklichkeiten ihrer Erlebniswelt durchdringen sich gleichzeitig, und jedes Moment bricht mehrfach aus dem gleichen Moment hervor: Die psychische Wirklichkeit überströmt die äußere Realität mit unaufhaltsamer Intensität. Halluzinatorische Wunsch- oder Angstträume werden mit den Mitteln der bürgerlichen Wirklichkeit realisiert. Mirella Pietrzyk ist mit ihrer Kunst in einem Grenzbereich angesiedelt, was dem nicht widerspricht, dass ihre Bilder faszinieren. Das resultiert aus der scheinbaren Anteillosigkeit und der Gefühlskälte des Vortrags, dem »luftleeren« Raum zwischen Bild und Betrachter. Alles ist mit Präzision auf das Funktionieren des Bildes als Spiel und als Gesamtgestalt hin aufgebaut.
Klaus Hammer
AUSSTELLUNGEN
IN AUSZÜGEN
GRENZEN/ÜBERGÄNGE
10.09.2023 - 30.10.2023
Galerie Stadtinsel
Langestraße36/37, 39539 Havelberg
SCOUT 2021/22 ARTLAB KETTINGE , INTERNATIONAL EXHIBITION
16.10.2021– 30.05.2022
Galleri Heike Arndt DK Kettinge Berlin
Rågelundevej 9, 4892 Kettinge, Danmark
ALTERNATIVE REALITÄTEN
08.11.2021 – 15.01.2022
Projektraum Galerie M / Neue Kunst Initiative
Marzahner Promenade 46, 12679 Berlin
FENSTERAUSSTELLUNG
25.07.2021 – 01.08.2021
Inselgalerie Berlin
Petersburger Straße 76A, 10249 Berlin
Fresh Legs | Berlin 2021
02.06.2021 – 02.10.2021
Galeri Heike Arndt DK
Voigtstraße 12, 10247 Berlin
Kontinuum Moderne
30.10.2020 – 12.03.2021
Bulgarisches Kulturinstitut
Leipziger Str. 114-115, 10117 Berlin
Die Russen kommen, kommst Du auch mit?
25.05.2019 – 06.07.2019
Neue Kunst Initiative Marzahn-Hellerdorf,
Projektraum der Galerie M | Marzahner Promenade 46, 12679 Berlin
Der purpurne Raum
23.02.2019 – 07.04.2019
Alte Feuerwache-Projektraum,
Marchlewskistraße 6, 10243 Berlin
Papier
02.02.2019 – 16.03.2019
Neue Kunst Initiative Marzahn-Hellerdorf,
Projektraum der Galerie M | Marzahner Promenade 46, 12679 Berlin
Spar | INSEL | Galerie | Kasse
01.06.2017 – 29.07.2017
240. Ausstellung der Inselgalerie Berlin,
Petersburger Straße 76A, 10249 Berlin
2014
Bildschön
Galerie ART15 Bremen
2015-2016
Morgenland trifft Abendland
Märchenwochen im Ausstellungszentrum Pyramide Berlin
Künstlerinitiative 18
Berlin
Die lange Nacht der Bilder
Berlin
Café Sibylle
Berlin
Gerhard-Marks-Haus
Bremen
2010
Die Kunst der Krise
Künstlerhaus Bethanien Berlin
2012
Lethe
Ausstellungszentrum Pyramide Berlin
Astronominnen – Frauen die nach den Sternen greifen
Frauenmuseum Bonn
Visionen
10. Kunstkreuz
Berlin
Galerie Meisterschueler
Berlin
Design für den Alltag im All
Wilhelm-Wagenfeld-Haus
Bremen
Kultur vor Ort
Bremen
KATALOG 2016
HALB MENSCH, HALB MASCHINE …
Das facettenreiche, autarke Oeuvre der Berliner Künstlerin Mirella Anna Pietrzyk weicht völlig der stilistischen Verortung aus. Beharrt es doch trotzig auf dem ganz eigenen Platz jenseits herkömmlicher Entwicklungslinien der Kunst. Die elegant gekleideten, entkleideten Frauen mit Facettenaugen, gewaltigen Bienenkorbfrisuren, halb Mensch, halb Maschine, dreibrüstig mindestens, vier Mäuler, inmitten eines ganzen Universums bizarr anmutender Kreaturen und Phantasmagorien, die der eigenwilligen Malerin seit einem Jahrzehnt posieren, sind zum Markenzeichen ihres Schaffens geworden. Die Künstlerin indes entzieht sich geflissentlich dem Gespräch über ihre Modelle, Kreaturen, Bilder. Selbst den eigenen Werken, diesen futuristisch-rätselhaften, surrealistisch-abstrakten Schöpfungen, verweigert sie seit Jahr und Tag die Namensgebung. Mirella Pietrzyk muss als starke Vertreterin der fantastisch-surrealen Malerei bezeichnet werden. Quellen der Inspiration sind, so die Berlinerin, Träume, das Wechselspiel zwischen Realität und Imagination, sowie das Kunst-schaffen von Meret Oppenheim, Zdzisław Beksiński, Max Ernst, die Bücher des Welt-Literaten Stanislaw Lem.
Manch Ausstellungsbesucher meint, die Malerin zeichne makabere Fantasien endlos. Andere sind erschrocken, derangiert, blicken sie doch Außer-Wirkliches, Bedrohliches, auf Leinwand, Papier festgezurrt. Denn: in Pietrzyks Werken spiegelt nichts, rein gar nichts, vertraute momentane Realität. Doch wer behaupte, Mirella Pietrzyks künstlerische Momentaufnahmen wären Ausgeburten der Fantasie, der beobachte in ruhiger Sekunde die Welt im toten Winkel des Auges: der Aufmerksame entdeckt: darinnen sind die fantastisch-schrägen, mitunter schaurigen Visionen der Künstlerin allgegenwärtig. Mirella Pietrzyks Stil zeichnet sich aus durch eine überwältigende Opulenz atemberaubend leuchtender Farben sowie eine beeindruckende Beherrschung menschlich-surrealer Form. Ihre Bilder stellen unsere äußere Realität nie in Frage, schaffen indes künstliche Realität: das Dasein in den Perspektiven des Zukünftigen, Vergangenen, Parallelen, irgendwo, irgendwann – nicht ohne leise Zuversicht, jedoch nicht ganz ohne Schrecken … Auf die Malerin Mirella Pietrzyk trifft zu, was der polnische Kunstkritiker Andrzej Osęka vom Maler Zdzisław Beksiński behauptete: Diesen seltenen Mut zu haben, in der Kunst genau das, was man wolle, zu machen.
Jürgen Cain Külbel
VITA
IN AUSZÜGEN
Ab 2010 Lehrtätigkeit Kreatives Gestalten
2009 Mitarbeit am Spielehandbuch bei "Das Haus Berlin" Berlin
2005-06 Illustration Kinderbuch "Brom und Filuh" E. Reinhold Verlag Altenburg, in Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus Leipzig
1999-2008 Diverse Illustrationen:
-Edition Temmen Bremen
-EU Initiative Kultur vor Ort Bremen
-Grätz Verlag Vitzenhausen
-Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig
-haendewerk Berlin
Seid 2003 lebt und arbeitet Mirella Pietrzyk in Berlin
1997 Studien - und Wohnaufenthalt in Ägypten
1998-2002 Dozentin für Malerei und Mode Freie Kunstschule Bremen
1999-2004 Modeatelier Stoffwechsel Bremen
1997 Studien - und Wohnaufenthalt in Ägypten
1995-1996 Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Technik Zwickau Fachbereich Angewandte Kunst Schneeberg, Abschluss als Diplomdesignerin
1993-1996 Graphikerin und Kostümgestalterin Kreativwerkstatt Narrenschiff
1991-93 Designerin in der kulturellen Stadtbauhütte Altenburg
1988-91 Studium an der Fachschule für angewandte Kunst Schneeberg
Abschluss als Modedesignerin
1977-1988 Förderschülerin für Graphik und Malerei Lindenau-Museum Altenburg unter Prof. Peter Schnürpel und Günter Rackwitz